PG Oberleichtersbach-Schondra

Hier die Predigt von Diakon Horst Conze am Kirchweihsonntag.

Liebe Kirmesgesellschaft, liebe Gemeinde,
Kirchweih ist verrückt. Einige werden denken: „Das stimmt! Kirchweih ist verrückt: Junge Männer sägen einen Baum ab und transportieren ihn mit Bier ins Dorf. Eigentlich verrückt!
Die Burschen stellten früher mit Stangen – heute mit dem Kran - einen kahlen, oben bekränzten Baumstamm mitten ins Dorf. Total verrückt!

Liebe Kirmesgesellschaft, liebe Zuhörer,
Kirchweihfest - das ist total verrückt. Die Kirche selbst, das Gotteshaus, ist ja ein verrücktes Unternehmen. Um das Jahr 800 beginnen die Siedler hier an der Schondra eine erste Holzkirche zu bauen. Bereits um 950 wird der Holzbau durch eine einfache Steinkirche ersetzt. Um 1200 wird dann der romanische Kirchturm, das Wahrzeichen von Schondra erbaut. Und um 1350 war die Kirche fertiggestellt, die hier in Schondra bis 1952 als Pfarrkirche genutzt wurde.
Als dann die Bevölkerung in Schondra mehr und mehr anwuchs, wurde die Kirche schnell zu klein. Unter Pfarrer Richard Höfling entschloss man sich 1952 nicht für eine Erweiterung der alten Kirche, sondern für eine Radikale-Lösung! Die alte Kirche wurde bis auf den Turm abgerissen. Eine neue Kirche wurde in den Jahren 1953/54 aufgebaut. Am 15. November 1954 wurde diese Kirche vom Würzbürger Bischof und späteren Kardinal Julius Döpfner eingeweiht. Sein Wappen findet sich über dem Hauptportal. Deshalb feiern wir heute Kirchweih- Gedenktag – also Kirmes!!

1954 eine solch große Kirche. Was das gekostet hat? Wie viel ehrenamtliche Arbeitsstunden die Schondraer hier geleistet haben. Und das mit viel Handarbeit und wenig schwerem Gerät. 1954 – ein Haus Gottes mitten im Dorf. Kurz nach dem Krieg – in der Zeit des Wiederaufbaus. Das ist doch verrückt! Man brauchte doch vielmehr Scheunen, Ställe, Feuerwehrhäuser, Schmieden und Schulen, Schlachtereien und Vereinsheime. Aber ein Haus, in dem man einmal in der Woche zusammenkommt und singt, dafür braucht man doch kein so großes Haus. Das ist doch verrückt!

Und im Gotteshaus geht es eigentlich noch verrückter zu:
Das wird ein Tisch jeden Sonntag schön geschmückt, die Ministranten und der Gottesdienstleiter ziehen sich passend zur Farbe des Sonntags an. Heute an Kirchweih eben rot – als Zeichen des Heiligen Geistes, der in der Kirche wirkt. Denn die Farben haben eben ihre Bedeutung! Rot für den Heiligen Geist, aber auch für das Blut an Karfreitag oder Märtyrerfesten. Weiß für die Freude an besonderen Festtagen wie Weihnachten, Ostern. Grün für die Zeit ohne besonderen Anlass, für die Zeit des Jahreskreises. Und eben auch violett für die Trauer bei Beisetzungen und die Vorbereitungszeit in Advents- und Fastenzeit. Ganz schön verrückt, was!

Im Gotteshaus: Da begießen die Christen über einem merkwürdigen Steinbecken kleine Kinder mit Wasser und freuen sich dann manchmal sogar, wenn die schreien. Verrückt!
Im Gotteshaus: Da wird gesungen, musiziert, psalmodiert, georgelt und gebetet, und mehr als nur Fränkisch gesprochen: Hebräisch: Halleluja und Amen. Griechisch: Kyrie eleison. Latein: Gloria. Total verrückt, oder?
Liebe Gemeinde,
Total verrückt? Ich möchte Euch damit heute sagen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir hier eine Kirche haben und Gottesdienst und Kirchweih feiern. Wir sollten dafür sehr dankbar sein, dass Menschen vor uns sich entschieden haben, hier ein Gotteshaus zu bauen. Damit bekommt das Dorf ein Zentrum und das Leben eine Richtung.

Dass dies anders sein kann, steht uns dann klar vor Augen, wenn wir in die neuen Bundesländer schauen.Da gibt es in vielen Dörfern keine Kirchweih. In einigen Landstrichen auch keine Christen mehr. Manche Kinder in Ostberlin, wissen gar nicht, was eine Kirchweih ist und viele waren wahrscheinlich noch nie in so einem verrückten Haus.
Liebe Gemeinde,
Um sich für Gott zu interessieren und für die Kirche zu engagieren muss man aber ein bisschen verrückt werden.
Verrückt werden, Wegrücken von der Ansicht: nur Geld zählt.
Verrückt werden, abrücken von dem Standpunkt: ich gehöre nur mir, ich bin ich.
Verrückt werden vom Einfluss des Irdischen.
Hingerückt werden zu den Glauben an die Kräfte des Himmels.
Hingerückt werden zum Danken für das eigene Leben.
Hingerückt werden zu einem Leben mit Jesus Christus.
Verrückt zu Gott. Manchmal vielleicht sogar: entrückt werden!

Liebe Gemeinde,
im heutigen Evangelium wurde auch jemand verrückt. Der kleine Mann Zachäus interessierte sich für den Rabbi aus Nazareth. Er steigt auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen. Auf Bäume steigen ist für Jungs zwar keine verrückte Sache, für einen erwachsenen Mann, der zudem als Oberer der Zöllner nicht gut angesehen war und als ein Sünder galt, war das schon eine verrückte Bewegung.
Und jetzt passiert in der Geschichte etwas Wunderbares: Der verrückte Baumbesteiger wird von Jesus so angesprochen, als ob Jesus ihn schon lange Zeit kennt und nur darauf gewartet hatte bei ihm einzukehren. Jesus verrückt damit die gesellschaftliche Ordnung, denn die Leute murrten und sagen: „Bei einem Sünder ist er eingekehrt.“ Jesus verrückt die Erwartungshaltungen der Menschen. Er durchbricht ihre Moralvorstellungen. Wie kann der weise Rabbi Jesus bei einem zu Gast sein, der als Zöllner gemeinsame Sache mit den verhassten Römern macht. Dieser Jesus – so meinen die frommen Juden – der ist doch verrückt!!

Liebe Gemeinde,
die Menschen in unserer Gesellschaft müssen zwar nicht auf Bäume steigen. Aber sich auf den Weg machen. Sie müssen abrücken von religiösen Trägheit. Denn viele Menschen sagen: Die Kirche muss sich ändern, aber bei uns im Dorf muss alles so bleiben wie es ist. Das funktioniert nicht. Wer sich aufmacht, wer auf einen Baum steigt, um Jesus zu begegnen, der muss Veränderung in Kauf nehmen. Und der wird überrascht sein, was passiert. Und es passiert was. Jesus kommt dem, der sich aufmacht, selbst entgegen. Wie bei dem Baumkletterer Zachäus: „Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in dein Haus einkehren.“
Liebe Gemeinde,
ich denke, vor mehr als 1200 Jahren waren die Leute hier in Schondra verrückt. In ihren Ohren klang es wie in der Evangeliumsgeschichte: „Ihr Schondraer, steigt herab, ich muss heute in euer Haus einkehren.“
Und dann fingen die Schondraer Bürger an zu bauen: ein Gotteshaus. Ein gemeinsames Haus für die wirklich wichtigen Dingen im Leben: die Feier der Taufe, ein Ort des Segens, ein Ort des Gebets, eine Ort der Beichte, ein Ort für die Mahl-Gemeinschaft. Und ein Ort für die Feiern des Lebens: die Erstkommunion, die Firmung, die Trauung, und die Beerdigung. Ein Ort Gottes mitten in einem kleinen unterfränkischen Dorf.

Und die Schondraer haben die Personen in ihrer Kirche dargestellt, die ihnen im leben wichtig sind. Zunächst hier vorne die Heilige Familie. Der Zusammenhalt in der Familie – die Keimzelle der Gesellschaft – auf die wollten unsere Vorfahren hinweisen. Und alle junge Eltern wissen, wie wichtig eine Oma ist, die mal auf die Kinder aufpasst. Und die Kinder wissen: Bei der Oma schmeckts immer besser als bei der Mama. Und zur Oma kann ich immer wieder hingehen, wenns mal mit Mama und Papa nicht so läuft.
Deshalb haben die Schondraer die Oma von Jesus als Patronin dieser Kirche gewählt: Die Heilige Anna, Mutter der Gottesmutter Maria. Mit dem Buch auf ihrem Schoß gilt sie als weise Frau und Wegweiserin für das Dorf. Eine Oma, zu der ich immer kommen kann, wenn ich Hilfe und Unterstützung brauche.

Und dort weiter hinten rechts neben dem Kreuz der Heilige Heinrich, deutscher Kaiser im 11. Jahrhundert und Begründer des katholischen Glaubens in Franken. Er hat sein Grab im Bamberger Dom gefunden. Und rechts neben dem Kreuz der Heilige Nepomuk. Viele kennen ihn aus dem Kreuzberglied. Er gilt als Patron der Brücken und war für die Menschen hier, die an der Sinn, Saale und Main auf feste Brücken angewiesen waren, ein wichtiger Nothelfer.
Links in der Mitte: Der Heilige Antonius, Helfer in schweren Notlagen. Er ist Schutzpatron der Armen, der Eheleute und der Frauen und Kinder. Bekannt ist er als Helfer beim Wiederauffinden verlorener Gegenstände.
Und hier vorn der heilige Sebastianus. Er war römischer Offizier und ist im 3. Jahrhundert in der Christenverfolgung für seinen Glauben hingerichtet worden. Für die Schondraer war er vor allem im Dreißigjährigen Krieg ein wichtiger Schutzpatron der Soldaten.
Und hier vorne links: Die Gottesmutter Maria, Schutzfrau von Franken. Sie war und ist für viele Menschen Ansprechpartner für viele Sorgen und Nöte, die sie an ihren Sohn Jesus Christus weiterleitet. Hier stehen auch die vielen Kerzen, die die Menschen mit ihren Anliegen anzünden.
Und vorn das Altarbild: Der auferstandene Christus bei der Himmelfahrt. Und zwei Männer in weißen Gewändern rufen den Jüngern zu: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch fort in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen.“ Diese Kirche – ein Haus der Hoffnung auf die Wiederkunft Christi. Wie die Sonne im Osten aufgeht, so hoffen wir, dass auch Christus aus Osten her wiederkommt. Gerade deshalb ist diese Kirche nach Osten ausgerichtet.
Diese Kirche St. Anna ist also mehr als ein Haus aus Stein, das unsere Vorfahren aus ihrem christlichen Glauben heraus gebaut haben. Die Kirche hier ist ein Ort, wo Menschen aus Schondra über viele Generationen hinweg ihre Sorgen und Nöte vor Gott gebracht haben. Ein Ort, wo sie sonntags am Tag des Herrn Gottesdienst feiern – in der Hoffnung, dass Jesus mit seiner Wiederkunft diese Welt zu einem guten Ende bringt.

Liebe Gemeinde, liebe Kirmesgesellschaft,
Kirchweih außerhalb der Kirche ist im Grunde kein verrücktes Fest. Denn dort geht es ja zu wie bei jedem Fest: Bier, Bratwürste, Musik.
Aber: Kirchweih in der Kirche feiern. Das ist ein verrücktes Fest. Denn dann feiern wir, dass wir durch die Taufe zu Gott verrückt sind, und ein Haus Gottes mitten auf Erden haben, wo der Himmel offen ist und wir ein Gebetsflatrate zu Gott haben.
Liebe Schwestern und Brüder, schön, dass Ihr verrückt seid. Amen.

Horst Conze

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